Verein statt Wohnmobil
Die „Boomer-Generation“ in den Blick nehmen / Angebote für Ältere weiterentwickeln

Witzenhausen - Yvonne Jaquet-Steinfeld ist die Seniorensport-Beauftragte des Sportkreises Werra-Meißner. Die ehemalige Fußballspielerin ist im Landkreis seit mehr als zehn Jahren als Expertin und Impulsgeberin geschätzt, wenn es um Bewegung im Alter geht. Zusammen mit dem Seniorenbüro des Kreises und Vereinen aus dem Sportkreis hat sie schon zahlreiche Initiativen für mehr Bewegung im Alter begleitet. Fast ebenso lang ist sie Übungsleiterin, leitet eine Sportgruppe und unterstützt die Vereine im Sportkreis, wenn es um die Entwicklung von Sportangeboten für Ältere geht.
„Die Vereinsangebote hier auf dem Land sehen etwas anders aus, als im Ballungsraum. Bei uns werden die Gruppen miteinander alt“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Auch die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Angeboten sei weniger trennscharf als in der Stadt. „Meine Gruppe ist sozusagen eine inklusive und integrative Senioren- und Rehasportgruppe“, verdeutlicht sie, was sie meint.
Gleichwohl, und darauf ist sie sichtlich stolz, gibt es auch richtungsweisende Ideen auf dem Land. Das vom Sportkreis begleitete Projekt „Aktivierender Hausbesuch“, mit dem Hochaltrige zu Hause in Bewegung gebracht wurden, erhielt 2018 den Hessischen Gesundheitspreis. Auch die gute Kooperation mit dem Turngau und den anderen Sportverbänden im Kreis sieht sie als wichtigen Faktor.
Den „Nachwuchs“ in den Blick nehmen
Aber Jaquet-Steinfeld hat nicht nur die Hochaltrigen im Blick, sie sieht auch den „Nachwuchs“. „Über den demografischen Wandel müssen wir eigenlich nicht mehr sprechen, den erleben wir gerade“, sagt sie. Die „Boomer-Generation“ zwischen 56 und 65 gehe bald in den Ruhestand, eine Generation, der mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland angehören.
„Diese Menschen sind die künftigen Seniorensportlerinnen und -sportler, die müssen wir frühzeitig erreichen“, ist Jaquet-Steinfeld überzeugt. Sie ist sich sicher, dass in dieser Generation überdies Potenzial fürs Ehrenamt schlummert, das es zu wecken gilt. „Viele haben das Talent zum Übungsleitenden oder zum wertvollen Vorstandsmitglied, die meisten wissen es nur (noch) nicht.“ Menschen, die schon immer Sport getrieben haben und die Vereinswelt ebenso lange kennen, seien ihrer Erfahrung nach offen für neue Angebote. An dieser Stelle wünscht sich Jaquet-Steinfeld auch mehr Kommunikation zwischen den Übungsleitenden in den Vereinen. Denn wenn es mit dem Kicken wegen der Kniebeschwerden nicht mehr funktioniere, hätten diese ein Riesenrepertoire an Sportspielen und Übungen im Programm, die auch altgedienten Fußballer/innen Spaß machen.
Niedrigschwellig zur Ausbildung motivieren
Dabei müssten oft genug keine neuen Gruppen gebildet werden, sondern die „Alte Herren“-Truppe würde sich, bei entsprechender Unterstützung, nach und nach neue sportliche Felder erschließen. Dabei habe es sich gezeigt, dass neben ersten Hilfen und Tipps vor allem einfache und kurze Fortbildungen erfolgreich angenommen werden. Wenn sich dann Engagierte aus dem Team finden, dauere es meist nicht lange, bis über Lizenzausbildungen nachgedacht werde.
Jaquet-Steinfeld hat selbst früher Fußball gespielt und wurde „per Zufall“ Übungsleiterin. Ihrem Verein standen zwei Gutscheine für eine Ausbildung zur Verfügung. „Da hab ich gedacht: Das probierst du aus, und es war eine wirklich gute und richtungsweisende Entscheidung.“ Ihr habe sich damals ein völlig neues sportliches Universum erschlossen. Allerdings weiß sie auch um den Aufwand und das hohe Niveau der Lizenzausbildungen. Deswegen plädiert sie auch für mehr niedrigschwelige und kürzere Qualifizierungen.
Verein statt Wohnmobil
Gerade auf dem Land, wo sich die Menschen in der Regel besser kennen, als in der Stadt, heißt das für sie: Miteinander reden, die persönliche Ansprache nutzen. „Die Boomer-Generation ist eine wichtige Zielgruppe. Die Rente in Sicht, die Kinder aus dem Haus, warum sollte man die nicht unter dem Motto ‚Verein statt Wohnmobil‘ für den Sport und die Arbeit im Sport gewinnen können?“
Text: Markus Wimmer - SIH